JÜDISCHES LEBEN IN DÖBLING

Wien. Eine ökumenische Initiative lud am 15. Jänner zu einem Festakt in die Villa Wertheimstein ein. Erinnert wurde an die 1938 zerstörte Döblinger Synagoge, gestiftet 1907 von Julius Lederer. Eine Gedenktafel in der Dollinergasse 3 erinnert an sie.
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Die nahe gelegene Villa Wertheimstein wurde als Veranstaltungsort gewählt, um an die doppelte Bedeutung der jüdischen Döblinger Familien bis zum Anschluss 1938 zu erinnern: als gläubige Menschen (daher die Tempel-Stiftung ) und als Kulturträger, gerade in Döbling. Namen wie Zuckerkandl, Wertheimstein, Gomperz, Mahler-Werfel sind nur Beispiele – und eben auch Lederer.
LEDERER FAMILIENTREFFEN
Eine Wiener Lederer-Verwandte wurde auf die geplante Veranstaltung aufmerksam und verwies auf ihren Cousin Eytan Lederer, Urenkel des Synagogen-Stifters, in Israel, der als Zeitzeuge eingeladen wurde. Er nahm die Einladung sehr gerne an – und berief aus diesem Anlass ein erstes Lederer-Großfamilientreffen ein. 37 Lederers aus vier Generationen aus der ganzen Welt kamen: von Amerika bis Neuseeland, aus Israel, Holland, Deutschland, Frankreich und Portugal! Sogar der Bundespräsident lud die Lederers und die Organisatoren dieses „Tags des Judentums" zu einem Empfang in die Hofburg. Ebenso die drei Präsidenten des Zentrums für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
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FESTAKT IN DER VILLA WERTHEIMSTEIN
In die Villa Wertheimstein, den einst letzten großen „Salon" der Wiener Geisteswelt, kamen über an die 200 Besucherinnen und Besucher. Das Programm wollte sowohl dem religiösen wie dem kulturellen und historischen Aspekt des Anlasses Rechnung tragen. Es gab Kurzreferate des Alttestamentlers Georg Braulik, einer Kuratorin des Jüdischen Museums Wien, Gabriele Kohlbauer-Fritz, und des Synagogen-Forschers Pierre Genée; Texte aus den Psalmen und dem Buch Ezechiel wurden von katholischen und evangelischen Vertretern des 18. und 19. Bezirks gelesen.
Der Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Martin Jäggle, machte klar, dass mit diesem Gedenken die Zerstörung der Synagoge nicht ungeschehen gemacht werden könne: „Aber es wird an einer anderen Zukunft mitgebaut, an einer Geschichte, in der die Vergangenheit nicht verdrängt und verleugnet, sondern beim Namen genannt wird als eine verbrecherische, gegen die ganze Menschheit gerichtete." Diese Veranstaltung mache deutlich, „dass zur Geschichte Wiens Juden und Jüdinnen gehören und dass wir kein Wien, kein Österreich und kein Europa ohne lebendige jüdische Gemeinde in der Gegenwart und Zukunft haben wollen." Es müsse möglich sein, als Jüdin und Jude ohne Angst hier leben zu können, so Jäggle abschließend. (Grußwort Martin Jäggle, download, .pdf 35 kb)
Willy Weisz, der jüdische Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit beklagte, dass die religiöse Dimension beim Gedenken an das vernichtete österreichische Judentum oft zu kurz komme oder darauf ganz vergessen werde: „Die religiöse Triebkraft, die wohlhabende Juden dazu bewogen bis getrieben hat, bedeutende Anteile ihres eigenen Vermögens in den Bau von Synagogen zu stecken, bleibt meist hinter den kulturellen und architektonischen Analysen verborgen." Dem gegenüber hat sich der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit zur Aufgabe gemacht, den religiösen Aspekt der Auseinandersetzung mit dem Judentum in den Vordergrund zu rücken. (Grußwort Willy Weisz download, .pdf, 30 kb)
Zum Abschluss gab es eine Führung durch die einstigen Wohnräume der Familie Wertheimstein. Der Ausklang fand bei koscherem Brot und Wein im Keller des „Nonnenstöckls" der Villa statt.
BEWEGENDE BEGEGNUNG
Veranstalter, Teilnehmer und die Familie Lederer selbst waren tief berührt von dieser wechselseitigen Wertschätzung und Herzlichkeit. Eytan Lederer: „Wir sind mit gemischten Gefühlen nach Wien gekommen, aber dieser Abend gab uns das Gefühl, dass Wien uns eine Hand entgegen streckt", und eine Cousine: „Diese Tage waren wunderbar, sie haben mein Leben verändert", eine andere: „Meine Adoptiveltern gaben mir Flügel, aber erst heute habe ich meine Wurzeln gefunden."
Wahrscheinlich ist genau das gemeint, wenn der Ökumenische Rat der Kirchen den Tag des Judentums als „Rückbesinnung auf die gemeinsame Wurzel" bezeichnet: eine Rückbesinnung nicht nur der Christen auf ihre Wurzel im Judentum, sondern das gemeinsame Besinnen von Christen und Juden auf so viel Verbindendes im Laufe der Jahrhunderte, ohne das Trennende und Schreckliche darüber zu vergessen oder unerwähnt zu lassen.
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BESUCH IN DER CHRISTLICH-JÜDISCHEN BIBLIOTHEK
Am folgenden Tag informierten sich Mitglieder der Familie Lederer in der Bibliothek des Koordinieurngsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit über die Aktivitäten und aktuelle Themen dieser Initiative. Willy Weisz gab einen persönlichen Einblick in das jüdische Leben in Wien und mit Markus Himmelbauer führte er die Gäste auf einem Stadtspaziergang durch das Karmeliterviertel.
Elisabeth und Hans-Joachim Lutter, red.

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