JÜDISCHES LEBEN: ERINNERUNG UND GEGENWART

Graz. Zu einer Studienfahrt „Auf den Spuren jüdischen Lebens im ehemaligen Westungarn" lud das Grazer Komitee für christlich-jüdische Zusammenarbeit am Himmelfahrtstag, dem 29. Mai 2014. Die bis auf den letzten Platz ausgebuchte Fahrt führte nach Stadtschlaining, Rechnitz und Szombathely/ Steinamanger.
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In Stadtschlaining erwartete uns Anton Kalkbrenner, theologischer Erwachsenenbildner und Sprecher des Lokalkomitees Burgenland für den christlich-jüdischen Dialog. Auf sachkundige und humorvolle Art führte er uns in die Geschichte des Burgenlandes ein. Die jüdischen Gemeinden im heutigen Burgenland, das bis 1921 zum Königreich Ungarn gehörte, standen unter der Schutzherrschaft ungarischer Adeliger. Für Stadtschlaining, wie das übrige südliche Burgenland unter der Schutz der Fürsten bzw. Grafen Batthyány stehend, ist eine Ansiedlung von Juden am Ende des 17. Jahrhunderts belegt. Die noch heute erhaltene Synagoge wurde wahrscheinlich im 18. Jahrhundert begründet und im 19. Jahrhundert umgebaut. Unter der Herrschaft von Ludwig Graf Batthyány Anfang des 19. Jahrhunderts wuchs der Anteil der jüdischen Bevölkerung auf 40 % an. So wurden neben der Synagoge auch ein Schul- und ein Rabbinerhaus errichtet, welche bis heute als gemeinsame Anlage bestehen.
AUS DER SYNAGOGE WURDE DIE FRIEDENSBIBLIOTHEK
In der ehemaligen Synagoge, die an der Stirnseite noch den damaligen Toraschrein erahnen lässt, kann man an der wunderschön bemalten Decke einige Verse des 119. Psalms in hebräischer Schrift nachlesen. Der Psalm ist ein einziges Lob auf die Tora, die Weisung Gottes. Auch insofern scheint die heutige Nutzung als Friedensbibliothek, die Teil des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) ist, sinnvoll. Der Besuch des zweiten der drei jüdischen Friedhöfe schloss unseren Aufenthalt in Stadtschlaining ab.
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AKTIVE GEDENKINITIATIVE IN RECHNITZ
Nächste Station war die Gemeinde Rechnitz am Geschriebenstein, die mit ihrer bewegten Geschichte die ExkursionsteilnehmerInnen besonders berührte. Dazu trug auch bei, dass der Bürgermeister der Stadt, Engelbert Kenyeri, uns die gesamte Zeit über begleitete und gemeinsam mit Christine Teuschler, der stv. Vorsitzenden des Gedenkvereins Re.F.U.G.I.U.S., überaus kenntnisreich an den Gedenkstätten des Ortes führte.
Der Gedenkort Kreuzstadl erinnert an alle Opfer des Südostwall-Baues in der Endphase des 2. Weltkrieges. Das Gebäude mit seinem kreuzförmigen Grundriss gehörte zur Batthyányischen Landwirtschaft und ist heute als Ruine erhalten. Auf freiem Feld in der Nähe des Gebäudes, wurden in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 ca. 180 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter ermordet und verscharrt. Bis heute wird nach dem Massengrab gesucht, um die Opfer in gebührender Weise und nach jüdischer Zeremonie bestatten zu können. Im Jahr 2012 wurde in unmittelbarer Nähe ein Open Air Museum errichtet, das auf Schautafeln, durch Videozeugnisse und Objekte dokumentiert, wie es dazu kam, dass ab Herbst 1944 einheimische Zivilpersonen, Fremd- und Zwangsarbeiterinnen zum Bau der Militärstellung „Südostwall" gezwungen wurden.
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m Stadtpark von Rechnitz lernten wir ein weiteres bemerkenswertes Denkmal kennen. Es spiegelt den Prozess einer längeren Diskussion zwischen der Gemeinde Rechnitz, der Gedenkinitiative Re.F.U.G.I.U.S. und dem Kameradschaftsbund wider. Gemeinsam erinnert diese Gedenkstätte nicht nur an die im 1. und 2. Weltkrieg Gefallenen, sondern an die zivilen Toten. Die Rechnitzer Juden und Jüdinnen, die ab 1938 vertrieben wurden, die ungarisch-jüdischen Opfer des Kreuzstadlmassakers und diejenigen, die dem Regime im Nationalsozialismus Widerstand leisteten, werden auf einer eigenen Stele an demselben Ort in Erinnerung gerufen.
Der Rechnitzer Friedhof, der Ende des 17. Jahrhunderts angelegt und mehrmals vergrößert wurde, zeugt von der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Rechnitz, die Ende des 17. Jahrhunderts entstanden, im Jahr 1850 mit 850 Mitgliedern ihren Höhestand erreichte. 1938 wurden die Juden und Jüdinnen aus Rechnitz vertrieben und ermordet und der Friedhof geplündert und zerstört. 1988 setzte ihn die Grazer Israelitische Kultusgemeinde wieder in Stand. Heute wird der Friedhof mit seinen 186 erhaltenen Grabsteinen von der Gemeinde Rechnitz gepflegt.
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BEGEGNUNG MIT DER JÜDISCHEN GEMEINDE IN SZOMBATHELY
Letzte Station der Fahrt war Szombathely im heutigen Westungarn. Hier empfing uns Herr Norbert Harrer, ein Vorstandsmitglied der jüdischen Gemeinde, und zeigte uns die Synagoge, in der die jetzige kleine jüdische Reformgemeinde (in Ungarn als Neologen bezeichnet) ihre Gottesdienste feiert. Vor 1944 traf sie sich in der 1881 erbauten und als eine der schönsten geltenden Synagogen Ungarns, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet. 1944 wurden 4228 Jüdinnen und Juden aus Szombathely von den Nationalsozialisten nach Auschwitz deportiert und ermordet. Damit wurde die jüdische Gemeinde völlig ausgelöscht. Die große Synagoge blieb erhalten und wird seit 1975 als Konzerthalle verwendet. Heute erinnert ein kleines Museum in den Räumen der jetzigen jüdischen Gemeinde an diese entsetzliche Geschichte.
Nach einem Rundgang durch die Innenstadt von Szombathely mit dem Dom und ihren von Barock bis zum Jugendstil geprägten Häusern kehrten wir nach einem Tag mit vielen nachdenklich machenden und neuen, interessanten Eindrücken zurück nach Graz.
Sabine Maurer

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