BEGEGNUNG MIT DEM JUDENTUM

Wien. Etwa 50 Personen nutzten die Chance zur Begegnung mit dem Judentum beim Ökumene-Fachtag des Vikariats Wien-Stadt der Erzdiözese Wien. Er fand am 3. November 2011 in der röm.kath. Pfarre Am Tabor in Wien Leopoldstadt statt und wurde gemeinsam mit dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit gestaltet.

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AUSTAUSCH IN ÖKUMENISCHER RUNDE
In einer ersten Gesprächsrunde ging es um die Selbstvergewisserung als Christinnen und Christen: „Wie stehen wir zu jenen, zu denen Gott zuerst gesprochen hat?“ Vier Personen aus der Vielfalt der christlichen Traditionen erzählten über die Bedeutung des Judentums in ihrem persönlichen Glauben und in ihrer Kirche: Der rumänisch-orthodoxe Theologe Ioan Moga, die lutherische Pfarrerin Christine Hubka, der frühere methodistische Superintendent Helmut Nausner und der katholische Religionspädagoge Martin Jäggle.
 
„Die alttestamentlichen Propheten haben ihren Festtag im orthodoxen Heiligenkalender. Sie sind nicht einfach biblische Figuren, sondern ihr Heilig-Sein hat für uns Aktualität. Am Beispiel des heiligen Elias: Er ist einer, der bei Gott ist und für mich spricht", sagte Moga. Das bringe eine tiefe theologische und auch emotionale Verwurzelung mit den biblisch-jüdischen Traditionen. Mehr noch: Es ist Ausdruck der Heilsgemeinschaft zwischen Juden und Christen, die zwar etwas Eschatologisches ist, aber mit den Propheten bereits ein Stück angebrochene Realität: „Im Heil finden wir uns vollendet wieder. Daraus können wir Hoffnung und Kraft nehmen.“
Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, unterstrich, dass Juden und Christen im Advent leben. „Das könnte verbindend sein.“ Als Religionspädagoge berichtete er, dass in Österreich die Religionsbücher auf das Judentum hin angeschaut wurden, nachdem Prof. Schubert 1965 Richtlinien definierte - noch vor der Verabschiedung des Konzilsdokuments Nostra Aetate. „Allen Religionsbüchern wurden damals die Leviten gelesen. Doch nun ist Österreich in dieser Frage ein Standort, an dem sich Europa messen kann.“
Hubka, die früher auch Fachinspektorin für den evangelischen Religionsunterricht gewesen war, sagte, dass im Lehrplan des evangelischen Religionsunterrichts viel Altes Testament vorgesehen sei und die Kinder die Geschichten der Erzväter gründlich kennenlernten: "Dies geschieht jedoch zumeist ohne das Bewusstsein zu erlangen, dass das die Geschichten des Judentums bzw. der jüdischen Bibel sind." Das Judentum versteht Hubka zugleich als Mahnung an uns: „Wir sagen oft leicht: ‚Wir sind Christen!‘. Aber wo merkt man das im Alltag, in der Küche, beim Einkaufen-Gehen, beim Umgang mit den Nachbarn?“ Der jüdische Glaube werde in der Alltagspraxis sehr lebendig. „Wo verwirklichen wir sichtbar unseren Glauben montags zwischen 9 und 10 Uhr?“, fragte Hubka.
Helmut Nausner, Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, warnte davor, die aggressive und verachtende Haltung der Kirchen gegenüber dem Judentum in der Geschichte allzu leicht beiseite zu schieben und zu vergessen: "Ein Heilungsprozess von Jahrhunderte lang offenen Wunden braucht viele Generationen. Wir erinnern uns aber nicht aus Masochismus daran, sondern um in Zukunft in größerer Wahrhaftigkeit und Tiefe unseren Glauben zu leben." Eine Missionierung der Juden sei nicht angemessen. „Paulus spricht von zwei Wegen. Die Juden sind also bei Gott, man müsse sie nicht erst zu Gott führen.“, so Nausner.
Jäggle stimmte zu, dass sich die christlichen Kirchen der Judenmission auf Dauer enthalten sollten und unser Bemühen sein muss, die angehäufte Schuld abzutragen. Sehr anschaulich war in diesem Kontext der Vergleich der finanziellen, der ökologischen und eben der moralischen Schulden. Bei den finanziellen und ökologischen Schulden sei sehr deutlich, dass die nachfolgenden Generationen zahlen und die Zinsen begleichen müssen, egal, wer sie verschuldet hat. Gleiches gelte für die moralischen Schulden.
 
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DAS JUDENTUM NACH SEINEM SELBSTVERSTÄNDNIS WAHRNEHMEN
Zur Frage „messianischer Juden“ erklärte Jäggle: „Wer getauft ist und sich zur Nachfolge Jesu bekennt, ist heute ein Christ. Vielleicht auch ein Christ mit jüdischen Wurzeln.“ Alle Richtungen des Judentums, von orthodox bis progressiv, anerkennen messianische Juden nicht als Juden, und „wir müssen es dem Judentum überlassen, zu definieren, wer ihm zugehörig ist und wer nicht. Christen oder die Kirche haben kein Recht zu definieren, wer Jude oder Jüdin ist", so Jäggle. Selbstverständlich hätten in der katholischen Kirche judenchristliche Gemeinden Platz, so wie es vor 2000 Jahren war.
Jäggle und Nausner erinnerten das ökumenisch aufgeschlossene Publikum, das Judentum nach seinem eigenen Selbstverständnis wahrzunehmen, und nicht in aller Begeisterung, wie man es selbst gern sehen wollte und oft folkloristisch verklärt. "Wir freuen uns über die Feste des Judentums, das ist sehr anschaulich. Das Judentum selbst aber stellt das Halten der 613 Gebote Gottes in der Tora ins Zentrum", sagte Jäggle.
Nach dem ersten Teil, in dem es um die Begegnung mit dem Judentum in der eigenen, christlichen Tradition ging, hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in fünf Exkursionsgruppen Gelegenheit, Aspekte des Judentums direkt kennenzulernen. Die Gruppen besuchten jüdische Einrichtungen, begegneten dort jüdischen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern oder sie erwanderten die jüdische Geschichte und Gegenwart der Leopoldstadt. Die Reformgemeinde Or Chadasch aber auch die orthodoxe Schiffschul öffneten ihre Türen für den Besuch, ebenso wie das Jüdische Institut für Erwachsenenbildung am Praterstern. Einen Einblick in die Geschichte der sefardischen jüdischen Gemeinde in Wien, der für viele neu war, bot das Sarah Fogiel Institut für jüdische Studien. Diese Begegnungen widerlegten manche Vorbehalte vom Judentum als unnahbarer Gemeinschaft.
 
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DIÖZESANSYNODE 1970
Die Pfarrkirche Am Tabor ist vor 40 Jahren im Anschluss an die Wiener Diözesansynode errichtet worden. Ihre besondere Verpflichtung gilt der christlich-jüdischen Begegnung, erklärte Pfarrer Dechant Ferenc Simon. Dies werde prorammatisch etwa am großflächigen Außenmosaik von Arik Brauer deutlich. Auch seien die Gottesknechtlieder im Inneren der Kirche in vier Reliefs thematisiert.
Markus Himmelbauer, Geschäftsführer des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, erinnerte an die Richtung weisenden Aussagen der Diözesansynode von 1970 zum Thema Christen und Juden: "Mit sicherem Glauben halten wir fest, dass der Neue Bund in Christus die Verheißungen des Alten Bundes nicht außer Kraft gesetzt hat, wie der Apostel Paulus im 11. Kapitel des Römerbriefes sagt. Im Lichte dieses Textes sind auch alle übrigen sich auf Israel beziehenden Stellen des Neuen Testaments sachgemäß zu interpretieren. Die Kirche von Wien erwartet von den Katholiken, dass sie nichts unversucht lassen, um die zwischen ihnen und den Juden bestehende und durch traditionelle Missverständnisse genährte Entfremdung zu überwinden."
 
Nikolaus Rappert, Markus Himmelbauer

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