DER JÜDISCHE JESUS

Wien. „Um Jesus streiten Christen und Juden von Anfang an“, sagte Rabbiner Schlomo Hofmeister bei einem Gesprächsabend am 30. Jänner im Nepomuksaal in der Leopoldstadt: „Nur mit dem Unterschied: Heute trinken wir im Anschluss an unser Gespräch ein Glas miteinander, vor 600 Jahren wäre ich am Ende auf dem Scheiterhaufen gelandet.“
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Jesus als „Juden“ zu bezeichnen, ist im christlichen Denken inzwischen fast eine Selbstverständlichkeit geworden. Doch mit Juden selbst darüber zu sprechen, hat Seltenheitswert. Im akademischen Rahmen geschieht dies an der Universität. In der Öffentlichkeit hat es das zumindest in den letzten zwei Jahrzehnten in Wien nicht gegeben. Die Begegnung am 30. Jänner im Pfarrsaal St. Nepomuk in der Wiener Leopoldstadt war daher ein außergewöhnliches Ereignis. Was sagt ein Jude über Jesus? Und als christliches Thema: Was sind die Konsequenzen aus dem Jude-Sein Jesu in der christlichen Theologie?
Für Rabbiner Hofmeister gibt es keine jüdischen Quellen zu Jesus: „Immer wieder gab es Menschen, die als Messias galten. Wir kennen ihre Namen, das Judentum verdrängt sie nicht. Nur, Jesus wird nirgends erwähnt.“ Auch drei Stellen im Talmud, die in christlicher Interpretation traditionellerweise auf Jesus bezogen werden, sind nicht mit dem Jesus der christlichen Quellen in Einklang zu bringen. Zwar habe Jesus als Jude gelebt, aber an ihn als Messias zu glauben, sei nicht mit den Vorstellungen des Judentums vereinbar. So seien die Evangelien christliche Quellen aus der griechischen Welt, die das Judentum oft entfremdet und verzerrt darstellten. „Unser Judentum heute ist identisch mit dem Judentum in der Antike, der Talmud garantiert diese Tradition. Da spielt Jesus keine Rolle.“ 120 Personen folgten dem Gespräch, zu dem das Katholische Bildungswerk St. Nepomuk und der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit geladen hatten.
GEWALT GEGEN JUDEN IM NAMEN JESU
„Das Christentum hatte immer wieder Schwierigkeiten mit der jüdischen Herkunft Jesu“, sagte der an der Universität Wien lehrende Fundamentaltheologe Wolfgang Treitler. In den ersten Jahrhunderten der Kirche habe man begonnen, Jesus im Kontext der hellenistischen Philosophie darzustellen. Das sei nicht verwerflich, das sei eine notwendige Inkulturation der Theologie. „Bedenklich wird es aber, wenn man diese zeitgebundene Interpretation Jesu als endgültig und überzeitlich verbindlich fixiert“, so Treitler. Dieses "völlige Vergessen des Juden aus Nazareth“ hatte dramatische Folgen für die christliche Theologie und tragische Auswirkungen auf jüdische Menschen in vielen Generationen.
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In der von der Alttestamentlerin Agnethe Siquans geleiteten Diskussion anerkannte Rabbiner Hofmeister die Fortschritte der Kirchen, das Jude-Sein Jesu heute wieder zu thematisieren. „Nun ist es aber an der Reihe der Kirchen, die Konsequenzen daraus zu ziehen, da kann das Judentum nicht weiter helfen“, so Hofmeister. Über Jesus zu reden sei allerdings eine „Einbahnfrage“. Und Professor Treitler ergänzte: „Der Dialog über Jesus mit dem Judentum wird immer einseitig bleiben, denn Jesus hat dem Judentum nichts gebracht, was es nicht schon vorher besessen hat. Jesus hat das Judentum zu Nichtjuden gebracht.“
Für den Wiener Gemeinderabbiner ist nicht Jesus die Brücke zwischen Christen und Juden, sondern der „ethische Monotheismus“: Diesen hätte das Christentum authentisch vom Judentum übernommen. „Wenn Jesus die Tora gelebt hat, heißt das nicht, dass auch alle danach leben sollen.“ Kein Nicht-Jude muss die Tora halten, für alle Menschen gelten die sieben noachidischen Gebote. Das jüdische Volk hat eine besondere Verantwortung, die Gebote der Tora zu leben und so „Licht für die Welt zu sein“.
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AN JESUS GLAUBEN UND JUDE SEIN SCHLIESSEN EINANDER AUS
Professorin Siquans stellte die Frage nach der Gruppe der sog. „messianischen Juden“, die heute Christsein und Judentum in einem Bekenntnis vereinen wollen, so wie in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung man Jude und Anhänger Jesu zugleich sein konnte.
Für Schlomo Hofmeister ist diese Gemeinsamkeit in der Antike eine schwer zu belegende Behauptung: „Wir gehen nicht davon aus, dass sich eine nennenswerte Anzahl von Juden den Urchristen damals anschloss. Wer sich zu Jesus bekennt, stellt sich außerhalb des Judentums.“ Aber natürlich gilt aus der jüdischen Tradition ebenso: Auch wer sich zu einer anderen Religion hinwendet, bleibt Jude.
Wolfgang Treitler ist überzeugt, das Christentum sei durch die „Schule der Geschichte“ gegangen und lehne heute jeden Triumphalismus über das Judentum ab. Ein Bekenntnis zu Christus dürfe nicht als Sieg über das Judentum verstanden werden. „Das Judentum ohne Jesus zu leben ist möglich, Christentum ohne Jesus und ohne das Judentum aber nicht.“ Wie dieses Verhältnis konkret aussehe, sei in der Theologie noch weitgehend offen. „Wenn manche Christen gleichzeitig jüdische Traditionen pflegen, ist aus christlicher Sicht dagegen nichts einzuwenden.“ Die Eigendefinition des Judentums, die eine solche Gruppe aber nicht als Juden anerkenne, sei aber zu achten.
Markus Himmelbauer

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