Raddatz, Alfred CHRISTLICHE KUNST - AUCH EIN SPIEGEL DES VERHÄLTNISSES VON CHRISTEN UND JUDEN

Das Bildmotiv “Ecclesia und Synagoga“, das den Gegensatz zwischen Kirche und Judentum zum Ausdruck bringen soll, entsteht in der Mitte des 9.  Jahrhunderts im Westfrankenreich  – “detestanda Judaeorum perfidia“,  um den Unglauben der Juden aufzuzeigen. Es war die kirchliche Antwort auf die judenfreundliche Politik im karolingischen Reich, besonders  Ludwigs des Frommen und Karls des Kahlen.
ENTSTEHUNG DES BILDMOTIVS IM MITTELALTER
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Das Bildmotiv “Ecclesia und Synagoga“, das den Gegensatz zwischen Kirche und Judentum zum Ausdruck bringen soll, entsteht in der Mitte des 9. Jahrhunderts im Westfrankenreich - “detestanda Judaeorum perfidia“1, um den Unglauben der Juden aufzuzeigen – als Antwort kirchlicherseits auf die judenfreundliche Politik im karolingischen Reich, besonders Ludwigs des Frommen und Karls des Kahlen.2 So zeigen denn Elfenbeintafeln der jüngeren Metzer Schule vom Ende des 9. Jahrhunderts3 Kreuzigungsdarstellungen, auf denen die Personifikation der Ecclesia rechts sich dem Gekreuzigten zuwendet und das Blut der Seitenwunde in ihrem Kelch auffängt, während links die der Synagoge vom Kreuze wegschreitet und ihm den Rücken kehrt. Solche Elfenbeinarbeiten schmückten die Deckel liturgischer Bücher und das Motiv sollte so die Geistlichen ermahnen, von den Gläubigen die Beachtung der kirchlichen Bestimmungen über den Umgang mit Juden, die “nirgendwo unklar“ seien4 – etwa Verbot der Ehe, der Arbeit bei Juden ja gemeinsamer Mahlzeiten von Christen und Juden überhaupt – zu fordern, die die karolingische Judenpolitik – hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen – stillschweigend außer Kraft gesetzt hatte.5
Unterscheiden sich anfänglich die beiden Personifikationen in den Darstellungen nur durch ihre Haltung zum Gekreuzigten, so ändert sich dies sehr bald, wobei die Veränderungen entscheidend den Typos der Synagoge betreffen6, wie denn überhaupt seit dem 11. Jahrhundert Juden in der christlichen Kunst kenntlich gemacht werden.7 So kauert nun etwa auf dem einen der beiden Medaillons am Querbalken des Gunhildenkreuzes - entstanden im 3. V. des 11. Jh. – die Synagoge mit entblößtem Oberkörper am Boden, Christus den Rücken kehrend, das Haupt in die Hand gestützt und rauft sich das Haar, während im anderen die Ecclesia, gekrönt, mit Kreuzstab und daran befestigter flammula, erscheint8 - stößt im Tympanon der ehemaligen Abteikirche von St. Gilles (vor 1142) ein herab fahrender Engel die Synagoge vom Kreuze fort, dass sie taumelt und ihr die Krone vom Haupte fällt,9 ja, verstößt im Liber Floridus des Kanonikus Lambert von St. Omer (um 1120) Christus selbst mit seiner Linken die Synagoge - ihre Krone ist herab gefallen, ihr vexillum, ihre Fahnenlanze zerbrochen - drängt sie dem geöffneten Höllenrachen entgegen, während er mit der Rechten die Ecclesia krönt und in der Initiale Q im Homiliar des Beda von Verdun ist die Ecclesia mit Krone, Kelch und flammula wie triumphierend auf der am Boden liegenden Synagoge stehend dargestellt – die so den Querstrich des Buchstabens bildet – und setzt der Blinden ihren Kreuzstab in den Nacken, die wie akklamierend dazu die Rechte erhebt.10
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Doch die Herabwürdigung der Synagoge geht noch weiter. Nicht nur blind wird sie dargestellt – eine Schlange bedeckt ihre Augen, wie im Skizzenbuch des Petris de Funes (um 1197),11 oder eine Binde - oder fast entblößt, mit einem Bockskopf in der Hand - Zeichen des überholten alttestamentlichen Opfers wie auch der Unzucht, so auf dem Altarbaldachin in Aal (2. Hälfte 13. Jhdt.)12.
VERSCHÄRFTE KONFRONTATION
Und Synagoga wird – in Darstellungen seit dem Anfang des 12. Jhdts. – zur Mörderin Christi. Sie stößt blind, an Stelle Stephatons, ihre hasta in seine Seite bzw. in die Brust des Lammes, wie der Apsisbogen der Kirche zu Spentrup (um 1200) zeigt,13 während die gekrönte Ecclesia sein Blut in ihrem Kelch auffängt, hält denn auch auf dem Tragaltar von Stavelot (Mitte 12. Jhdt.) wie triumphierend die Leidenswerkzeuge Christi – Lanze, Rohr und Dornenkrone – in den Händen14 und ihre Darstellung im Essener Sakramentar (um 1100) mit dem obligaten Judenhut lässt den Blick auf die zeitgenössischen Juden richten.
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Handelte es sich bei den bisher angeführten Beispielen mehr oder weniger um Werke der Kleinkunst, nur einem engen Kreis von Hochstehenden und Gebildeten zugänglich, so wird im Verlauf des 12. Jahrhunderts das Motiv – wie etwa in St. Gilles – “veröffentlicht“ - von der Miniatur an die Portale der Kathedralen, etwa an Notre Dame in Paris, Bamberg, Trier – von der Kleinkunst zur Großplastik. In Strassburg zum Beispiel waren beide Personifikationen am südlichen Querhausportal – Ecclesia zur Rechten, Synagoga zur Linken – ursprünglich im Rahmen des Urteils Salomos dargestellt als Typos des Weltgerichtes Christi.15
Aber es gab auch andere Stimmen. “Um zween Ding dulden wir die Jüden unter des Christenleuten. Das eine ist, dass sie Zeugen sind, dass unser Herr gemartelt ward von ihnen. Wenn ein Christenmensch einen Jüden sieht soll er daran andächtig denken. “Ach“, soll er denken, “bis du deren einer, von denen unser Herre Jesus Christus gemartelt ward und das für unsere Schuld litt?“ Und ihr sollt Gotte für seine Martel danken, ihr Christenleute, wenn ihr den seht. Ihr sollt seine Martel nimmer vergessen, denn er vergisst unser nimmer. Doch sollen wir von den Jüden daran sonderlich gemahnet werden. Und aus einem anderen Grunde: Wieviel ihrer den Endechrist überleben, die werden vor dem Jüngsten Tage alle zu Christenleuten ...“ so Bertold von Regensburg.16 Eine solche endliche revelatio, Entschleierung, der Synagoge, zeigt eine Initiale im Sakramentar von Tours (12. Jhdt.). Hier bilden die Zierleisten zur Präfation des Sanctus “Vere dignum et iustum est“ den mandorlaförmigen Rahmen für ein Brustbild Christi mit Kreuznimbus, die Rechte im Redegestus erhoben, dem sich von rechts die Ecclesia mit Kelch und Hostie auf verhüllt erhobenen Händen und links die verschleierte, reich gekleidete Synagoge mit den Gesetzestafeln in der vorgestreckten Linken naht. Mit ihrer Rechten verweist sie auf die Ecclesia, während ihr die Hand Gottes den Schleier vom Haupte zieht.17
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Darstellungen eines turnierartigen Zweikampfes zwischen Ecclesia und Synagoge mit erkennbarem Ausgang, wie etwa im Tucherfenster des Münsters zu Freiburg (um 1300)18 oder auf einer Chorgestühlswange im Dom zu Erfurt (1400-1410)19 leiten über zur letzten Phase in der mittelalterlichen Entwicklung des Bildmotivs, dem sogen. “Lebenden Kreuz“, Kreuzigungsdarstellungen, bei denen von den vier Enden des Kreuzes Arme ausgehen. Auf der des Giovanni da Bologna in S. Petrinio in Bologna (1421) öffnet der am oberen Ende des Längsbalkens das Tor der himmlischen Burg, sprengt der am Fuße die Pforte der Unterwelt. Rechts von Christus reitet Ecclesia auf dem Tetramorph heran, empfängt im Kelch in ihrer Rechten das Blut der Seitenwunde und eine Hostie, während der Arm des Kreuzquerbalkens sie krönt. Ihr gegenüber hingegen auf einem zusammenbrechenden Ziegenbock, an dessen Horn sie sich hält, reitet die Synagoge mit verbundenen Augen und langem, offenen Haar auf das Kreuz zu und wird vom Arm des Kreuzquerbalkens hier mit dem Schwert durchbohrt.20
 
ENTWICKLUNG SEIT DER REFORMATION
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“Aber die wesentliche Wendung entspringt dem kapitalen Ereignis der Kirchengeschichte: der Reformation. Der Kampf der Katholiken gegen die Protestanten und die Kampf der Protestanten gegen die Papisten lässt bei beiden den Kampf gegen die Juden in den Hintergrund treten“ – so B. Blumenkranz..21 Doch nicht ganz22, auch was das Bildmotiv betrifft nicht. Abgesehen von einzelnen variierten Beispielen im Barock, nahm auch der Historismus das Thema auf. So zeigt die Sakramentskapelle der Basilika Maria Laach in einem Gnadenstuhlmosaik auf Goldgrund – entstanden 1910-1912 – die Ecclesia, gekrönt, mit flammula am Kreuzstab und Kelch in der verhüllten Rechten, wie sie sich dem Gnadenstuhl zuwendet, während ihr gegenüber die Synagoge mit bedeckten Augen und gebrochener Lanze, dem Spruchband NOS LEGEM HABEMUS ET SCD LEGEM DEBET MORI (Joh. 19,7) in der Rechten sich ebenso abwendet.23
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1953 wurde im Dom zu Passau von J. Henselmann ein neuer Hochaltar errichtet und dem Bischof anlässlich seines goldenen Priesterjubiläums vom Domkapitel als Geschenk übergeben. Er stellt über der Retabel in doppelt lebensgroßen Figuren die Steinigung des Stephanus dar. Links außen Saulus, der die Kleider der Steiniger aufrafft, rechts außen ein zuschauender Pharisäer, zwischen ihnen kniet Stephanus, den Blick nach oben zur Trinität in der Mandorla gewandt, hinter ihm hochaufgerichtet zwei Männer, die Steine auf ihn werfen. “Zwischen die Steiniger und die “Mandorla“ sind zwei Figuren in querschwebender Haltung eingeschoben: Unterhalb die reichgewandete Gestalt des Alten Bundes, die einen Stab zerbricht, über ihr etwas nach links zur Seite geschoben, die symbolische Figur des Neuen Testamentes die St. Stefan einen langen Kreuzstab und eine Palme reicht.“24 Was gemeint ist, sagt H. Schnell kritisch selbst: “ ... wir kennen die stehenden Sinnbilder an vielen Münstern so intensiv ...“25
1991 erhielt das Münster zu Mönchengladbach einen von Elmar Hillebrand geschaffenen Ambo.26 Die Buchauflage dieses Ambos zeigt das Bronzerelief einer Kreuzigungsdarstellung: Christus am Baumkreuz, das aus dem Grabe Adams erwächst. Im Vordergrund stehen Maria und Johannes, hinter Maria - bedeutend größer – die Ecclesia, die Christus ihren Kelch entgegenstreckt. Auf der anderen Seite mit verbundenen Augen die sich abwendende Synagoge, die – wie verzweifelt – ihre Lanze zerbricht. Auffällt, dass die Situation der erwähnten frühmittelalterlichen entspricht: Denn wer sieht die Darstellung der Buchauflage?
1995 erneuerte Paul Weigmann vier Seitenschifffenster der Pfarrkirche St. Barbara in Bonn-Ippendorf.27 In der Mittelraute des Martyria-Fensters sind Ecclesia und Synagoge dargestellt. Ecclesia, ganz frontal gegeben, blickt aus dem Bilde heraus, in der Rechten ein Kreuz, die Linke auf die Brust gelegt, An sie tritt von links – wie fragend – die Synagoge mit geschlossenen Augen heran, weist mit ihrer Rechten auf eine große Torarolle, die sie in der Linken hält- und verweist so auf die Wurzel, die auch die Kirche trägt – ein Anfang?
ANMERKUNGEN
 
• Amulo von Lyon, Liber contra Judaeos, PL 116,141.
• vgl. A. Raddatz, Ecclesia und Synagoge. Geschichtliche Hintergründe und Bedeutung der Entstehung eines mittelalterlichen Bildmotivs, in: Judentum im Mittelalter, Ausstellung im Schloss Halbturn, veranst. v.d. Kulturabt. d. Bgld. Landesreg. 1978, S. 109 ff. Katalogteil S. 243 ff.
• Ausstellungskatalog: H. Jochum (Hrsg.), Ecclesia und Synagoga, Das Judentum in der christlichen Kunst, 1993, Abb. 4.
• Agobard von Lyon, De insulentia Judaeorum, PL 104,74.
• H. Graetz, Geschichte der Juden, Bd.5, 1871, S. 221 ff.
• D. Kocks, Art.: Ecclesia und Synagoge, in: Lexikon des Mittelalters, Bd.III, 1986, Sp.1537.
• B. Blumenkranz, Juden und Judentum in der mittelalterlichen Kunst, 1965, S. 11 ff.
• Ausstellungskatalog (Anm.3) Abb. 39
• Raddatz (Anm.2) Abb. 49.
• Ausstellungskatalog (Anm.3) Abb. 45.
• Ausstellungskatalog Abb. 31.
• Ausstellungskatalog Abb.27, 28b.
• Ausstellungskatalog Abb. 35.
• Abb.: H. Schreckenberg, Die Juden in der Kunst Europas, 1996. S. 40.
• Ausstellungskatalog (Anm.3) Abb. 13,14,15 .
• Zit. n. W. Seiferth, Synagoge und Kirche im Mittelalter, 1964, S. 110 .
• Ausstellungskatalog (Anm.3) Abb. 25.
• Abb.: Seiferth, (Anm. 16), 28.
• Ausstellungskatalog (Anm.3) Abb. 38.
• Ausstellungskatalog Abb. 44.
• Blumenkranz (Anm.7) S. 80 .
• Vgl. A. Raddatz, Johannes Eck 1541 und Luther 1543 über die Behandlung der Juden, in: Vielseitigkeit des Alten Testaments, Festschrift f. G. Sauer zum 70. Geburtstag, hrsg. v. J.A. Loader u. H.V. Kieweler, 1999, 369 ff.
• Ausstellungskatalog (Anm. 3), Abb. 23 a+b.
• H. Schnell, Der neue Hochaltar im Passauer Dom, in: Das Münster, 7. Jg., Heft 1-2, 1954, S. 33 ff.
• Schnell (Anm.24), S. 36.
• Der Ambo im Münster zu Mönchengladbach, hrsg. v. Münster-Bauverein e.V. Mönchengladbach, o.J., Text: Hans Bange.
• H. Heinemann, Die Glasfenster der katholischen Pfarrkirche St. Barbara in Bonn-Ippendorf, 1995. Für Hinweise auf Mönchengladbach und Bonn-Ippendorf danke ich Herrn Dr. Reinhard Mühlen, Mönchengladbach.
 

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