RELIGIONEN UND DIE BEGEGNUNG MIT DEM ANDEREN

AUF DEM WEG ZU EINER NEUEN KULTUR DES MITEINANDERS
Graz. Am 14.1.2015 fand an der Kath.-Theol. Fakultät Graz ein öffentlicher Studientag zu Fragen des Miteinanders von Religionen und Kulturen statt, der mit großem Interesse verfolgt wurde. Die schon seit einigen Jahren im Raum stehende Aktualität des Themas wurde durch die schrecklichen Ereignisse der letzten Wochen in Paris nur noch deutlicher.
Welche Haltung ist gefordert, um dem Konflikt- und Gewaltpotenzial der gegenwärtigen Auseinandersetzungen zwischen religiös mitgeprägten politischen Ideologien und der westlichen Zivilgesellschaft zu begegnen? Was können die Religionen selbst, aus ihren eigenen Ressourcen heraus, zur Bewältigung der kritischen Situation beitragen?


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Angesichts dieser Fragen machte Ulrike Bechmann, Leiterin des Instituts für Religionswissenschaft an der Theol. Fakultät Graz, die aktuelle Orientierungskraft der Erklärung „Nostra aetate" des Zweiten Vatikanums deutlich, die vor 50 Jahren die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen maßgeblich neu ausgerichtet hat. „Nostra aetate" bildet die Grundlage für ein offenes, respektvolles Zugehen der Kirchen auf die unterschiedlichen Religionen, um in einer durch Dialog geprägten Auseinandersetzung ihre humanitären und friedensstiftenden Impulse stark zu machen; – ohne dass dabei die Unterschiede verdrängt werden müssen; im Gegenteil: Die Unterschiede zwischen den Religionen und ihren Lebenskulturen sind produktive Bewährungsproben für diesen Dialog.
Das Konzil mache in seiner Erklärung deutlich: Nicht trotz des eigenen Glaubensprofils sind Begegnung und Dialog über die Religionsgrenzen hinweg möglich, sondern wegen des eigenen Glaubensprofils und seiner Verankerung in Gott, der alle Menschen geschaffen hat, gehören Begegnung und Dialog über die Religionsgrenzen hinweg zu den ureigensten Aufgaben der Kirchen.
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Sehr interessante und wertvolle Impulse brachte Rachel Herweg, Leiterin jüdischer Kindertagesstätten in Berlin, in den Studientag ein. Für alle Bildungsebenen, beginnend in den Kindergärten, sind heute Fragen des Umgangs mit kultureller und religiöser Vielfalt und Unterschiedlichkeit von vordringlicher Bedeutung. Aus jüdischer Perspektive zeigt sich, dass die Verwurzelung in einer bestimmten religiösen Lebens- und Bildungskultur keineswegs Ausschluss und Abschottung des Fremden und Anderen nach sich zieht, sondern die Fähigkeit zur produktiven Auseinandersetzung mit dem Anderen und Fremden in die Entfaltung der eigenen Religiosität mit hinein gehört.
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Der islamische Theologe und Erziehungswissenschaftler Harry H. Behr, der an der Universität Frankfurt u.a. die Entwicklung von Lehrplänen für den Islamischen Religionsunterricht mitgestaltet, konnte mittels Koranauslegung und Texten aus der Tradition überzeugend darlegen, warum der islamistische Terror dem Koran und der muslimischen Moral völlig widerspricht. Behr formulierte als eine der aktuellen Hauptaufgaben der islamischen Theologie, die „feindliche Übernahme des Islams durch den Islamismus" zurückzuweisen und vor dem zerstörerischen Missbrauch des Islam nicht zu resignieren.
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Der Antisemitismus- und Vorurteilsforscher Wolfgang Benz von der Universität Berlin konnte vor dem Hintergrund detaillierter historischer Kenntnisse über die Struktur und Funktion von Ressentiments gegen die jüdische und die muslimische Religion seit dem Mittelalter zeigen, dass wir auch heute nicht immun gegen Diskriminierung und rassistische Ausgrenzung von religiösen oder kulturellen Minderheiten sind. Im Blick auf die Protestbewegung Pegida und ihre Sympathisanten sieht er mit großer Besorgnis solche Ausgrenzungsmechanismen am Werk. Was können wir dagegen tun? Benz: „Wir müssen aufeinander zugehen, warum nicht einmal eine Moschee besuchen? Wenn man nicht die Hand ausstreckt, ergibt sich immer mehr eine Ghetto-Situation."
Die Hand auszustrecken und an Orten religiöser Vielfalt und Auseinandersetzung Begegnungen zu suchen, das war die Zielsetzung der Workshops des Studientags: auf der Baustelle der ersten neu errichteten Moschee in Graz, im Frauenwohnhaus der Caritas und in der Kirche St. Lukas/Graz, wo seit Jahren in regelmäßigen Abständen interreligiöse Begegnungsabende stattfinden.
Peter Ebenbauer

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