ICH WURDE VON IHR LIEBEVOLLST AUFGENOMMEN

Astrid Ingruber erinnert sich an Sr. Hedwig Wahle 

Mit tiefer Betroffenheit habe ich die Nachricht vom Tod Sr. Dr. Hedwig Wahles aufgenommen. Ich wusste von ihrer schweren Krankheit, dass es ihr seit Monaten sehr schlecht ging und dennoch kam die Mitteilung plötzlich. Im August vor einem Jahr hatte sie mich das letzte Mal besucht und ich hatte aufrichtige Achtung vor ihrem Mut, ihrer Stärke und Zuversicht, mit der sie gegen ihr Leiden kämpfte. Sr. Hedwig war noch voll Hoffnung, Optimismus und Tatkraft. Eigenschaften, die ihr ganzes Leben auszeichneten, was ich auch durch die Arbeit mit ihr immer wieder erfuhr.

Im Mai 1990 lernte ich Hedwig Wahle auf Vermittlung des Arbeitsamtes kennen. Ich hatte mein Studium beendet und bewarb mich um die freie Stelle im IDCIV. Durch Bilder von Chagall und Ansichten aus Israel, die die Wände des Büros in der Burggasse schmückten, kamen wir rasch über das Vorstellungsgespräch hinaus in eine längere persönliche Unterhaltung. Ich glaube, wir empfanden von Anfang an Sympathie füreinander, und ich freute mich sehr, als sie mir sagte, dass sie sich gut vorstellen könne, mit mir zusammen zu arbeiten. Ein besserer Einstieg ins Berufsleben, als Hedwig ihn mir bot, lässt sich nur schwer vorstellen. Ich wurde von ihr und den anderen Sionsschwestern in der Burggasse liebevollst aufgenommen und fast wie ein Kind mit Obst, Kuchen und Fürsorge verwöhnt.
Sr. Hedwig war eine sehr starke Persönlichkeit, eine Institution im christlich-jüdischen Gespräch, die durch ihren ungewöhnlichen Lebensweg authentisch agieren konnte und allseits respektiert wurde. Sie hatte viele Kontakte und es gab eine Reihe von Leuten, die um ihrer Person willen, alle von ihr organisierten Veranstaltungen besuchten und sie moralisch unterstützten. Immer wieder erlebe ich – auch heute noch, obwohl Hedwig schon seit Jahren nicht mehr in Wien wirkt –, dass ich von Fremden, mit denen ich über meine interreligiöse Arbeit ins Gespräch komme, nach ihr gefragt werde. Ihre Leitung des IDCIV zeichneten nicht nur Engagement und Zielstrebigkeit aus, sondern vielmehr eine tiefe Liebe zu diesem Aufgabenbereich, die jeder spürte, der mit ihr zu tun hatte, und der wohl auch ihr Charisma ausmachte.
Sie war Neuem aufgeschlossen, stürzte sich mit Feuereifer auf die Ende der 80er Jahre noch nicht so selbstverständliche Computerarbeit und forcierte die Einführung der EDV bei Bibliothek und Zeitschriftendokumentation. Durch die leicht handhabbare Textverarbeitung am PC kam sie auf die Idee, eine eigene Zeitschrift, den „Dialog-Du Siach“, zu gründen. Die Arbeit daran machte uns beiden besonders viel Freude und wir verwendeten viel Mühe und eine Reihe einträchtig verbrachter Stunden auf die Zusammenstellung, das Verfassen und Redigieren von Artikeln.
Auch als Lehrerin hatte sie über Jahre hinweg Kontakt zu ehemaligen Schülerinnen. Ich erinnere mich noch gut an das ausgelassene Gelächter, die herzlichen Umarmungen und den Austausch endloser Geschichten, als ich ihr einmal half, ein Treffen ehemaliger Burggassen-Absolventinnen zu organisieren. Unvergesslich bleibt mir auch einer der Einkehrtage, die sie regelmäßig im Advent für eine kleine Gruppe junger Leute organisierte. Es war ein kalter Tag mit dichtem Schneegestöber und anheimelnder vorweihnachtlicher Stimmung. Nach dem meditativen Teil gingen wir im märchenhaft verschneiten Garten der Burggasse spazieren, bis jemand anfing mit Schneebällen zu werfen, woraus bald eine richtige Schneeballschlacht wurde, an der sich Hedwig unter Gelächter spontan beteiligte. Neben ihrer Ernsthaftigkeit konnte Hedwig fröhlich und jung sein und somit ganz natürlich eine Brücke zur nächsten Generation bauen.

Ich persönlich bin Sr. Hedwig für vieles dankbar. Sie gab mir die Chance eines Arbeitseinstieges, und sie hat mich Fachliches und Organisatorisches gelehrt. Vor allem aber drückte sie Vertrauen in meine Arbeit aus, ermutigte mich, auch selbst Ideen einzubringen und ließ mir viel freie Hand. Mein Andenken an Hedwig wird stets ein herzliches und verbundenes bleiben, und so wird es vielen Menschen ergehen, die ein kürzeres oder längeres Stückchen Weg mit ihr gehen durften.

Astrid Ingruber, 2001

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